Laufbericht

Zürich Marathon: Lebe deine Träume

Seit ich vor rund vier Jahren ernsthaft mit dem Laufsport begonnen habe, hatte ich immer wieder andere Ziele. Und der Marathon gehörte zuerst eigentlich überhaupt nicht dazu. Meine Favoritenstrecke waren die zehn Kilometer, bis ich damals ein paar Verrückte aus Basel kennenlernte, bei denen sich alles um diese merkwürdigen 42 Kilometer plus ein paar Zerquetschte drehte. Mit der Zeit hatte ich aber auch Gefallen an etwas längeren Strecken, für mich solche von über zehn Kilometern, gefunden. Gerne erinnere ich mich zurück an die einstündigen Crescendoläufe (Lauf mit gesteigerten Abschnitten) gemeinsam mit Wolle und Tobi. 2015, im Frühjahr schliesslich, erreichte ich erstmals das Ziel eines Halbmarathonlaufes und zwar beim schönen Freiburg Halbmarathon. Als Vorbereitung habe ich dafür abends mal zwanzig Kilometer abgespult, nur um zu schauen, ob ich die Strecke auch wirklich gut schaffe wie erhofft. Und dann gings sehr schnell und ich stand schon im Herbst darauf beim Marathon in Basel an der Startlinie. Ich wollte mir beweisen, dass ich das auch kann und hatte mich sogar ernsthaft darauf vorbereitet. Immer einmal pro Woche habe ich mich mit dem früheren mehrfachen deutschen Meister Matthias Körner auf der Arbeit getroffen um die Fortschritte und die folgende Woche zu besprechen. Ich war froh, jemanden so erfahrenes an der Seite zu haben, der sich auch noch extra Zeit für mich nimmt. Auch machte ich in dieser Vorbereitung einen Riesensprung nach vorne, über alle Distanzen. Ein Grund war wohl, dass ich das erste Mal strukturiert nach Plan trainierte. Ein anderer Grund war, dass ich damals meinen Trainingsumfang erheblich gesteigert hatte. Anstatt ein bis drei Trainings pro Woche, hatte ich nun deren fünf und Matthias meinte, falls ich mein Ziel erreichen wolle, müsste ich schon so bis um die achtzig Kilometer in der Woche machen. Das klappte auch alles gut, schliesslich schob er gleich nach, dass wir genau auf meinen Körper hören müssen und so Verletzungen vorbeugen, bevor sie überhaupt eintreten. So lief ich also in Basel meine bis anhin gültige Bestzeit von 2 Stunden und 45 Minuten. Ich hatte mein Ziel erreicht und dieses Thema beiseitegeschoben. Auch weil Luki meinte, dass zu viel Marathon in zu jungen Jahren für die spätere Entwicklung nicht ideal wäre. Jemand, zu dem ich immer aufgeschaut habe, noch immer tue und mich auf meinem Weg extrem motiviert hat. Des Weiteren, war die Vorbereitung doch ziemlich aufwendig und du kannst dann nur diesen einen Marathon als Hauptwettkampf laufen. Dafür habe ich einfach zu viel Freude an den vielen anderen, kürzeren Wettkämpfen. Bevor ich das wieder tun werde, habe ich mir gesagt, warte ich, bis ich rein rechnerisch unter 2 Stunden und 30 Minuten laufen kann. Für mich damals natürlich noch unvorstellbar, entsprach das doch meinem 10-Kilometer Tempo. Wenn ich aber eines gelernt habe im Langstreckentraining, dann ist es das: Geduld zahlt sich aus! Es geht nicht von heute auf morgen, aber genau das ist das Spannende an leistungsorientierten Wettkämpfen.

In den folgenden zwei Jahren habe ich mich daher mehrheitlich auf die Halbmarathondistanz spezialisiert und bin dabei fünfmal in Folge neue Bestzeit gelaufen. Qualität vor Quantität war das Motto. Letzten Herbst schliesslich, hat es im sechsten Anlauf nicht mehr geklappt. Schon vorher wusste ich, dass es schwierig werden würde und das Halbmarathontraining mit vielen Schwellenläufen in der spezifischen Vorbereitung als solches, wurde mit der Zeit recht langweilig. Es ödete mich langsam an, ich brauchte neue Reize oder anders formuliert, ein neues reizvolles Ziel! Bereits im Sommer hatte ich die Idee mit dem Marathon, ich wusste, dass nun bei einer entsprechenden Planung dieser Traum von unter 2 Stunden und 30 Minuten auf einer schnellen Strecke erreichbar wäre. So nutze ich meine letzte Halbmarathonvorbereitung auch wiederum dazu, die Umfänge nochmals zu steigern, mit mehreren Wochen mit deutlich über hundert Kilometer um den Körper bereits daran zu gewöhnen, im gesamten Jahresdurchschnitt sammelte ich konstant um die 75 Kilometer pro Woche. Denn ein schneller Marathon ist nun einmal auch für mich zuerst viel Arbeit und hat wenig mit Talent zu tun. Ich kenne da nur zwei Ausnahmen bei uns im Verein, welche uns immer wieder überraschen. Bald stand fest, dass es Zürich werden würde. Zürich erreiche ich in wenigen Minuten mit dem Zug ohne Reisestrapazen. Es ist entspannter und unkomplizierter als die riesigen, berühmten Stadtmarathons, wo es meistens schon eine gute Referenzzeit vom Vorjahr braucht, um überhaupt im vordersten Sektor starten zu können. Nach zwei Wochen eingeplanter, wohlverdienter Laufpause nach dem Hallwilerseelauf, bereitete ich mich akribisch darauf vor. Schon früh diskutierte ich das Vorhaben gemeinsam mit Ivo und Rainer.  Rainer würde mir den Trainingsplan dazu schreiben und für Rückmeldungen da sein, Ivo wurde zu einer wichtigen Stütze. Zusätzlich, habe ich mir viel Literatur besorgt. Bevor das eigentliche Marathontraining im Januar startete, habe ich die Grundlagen im November und anfangs Dezember dazu gelegt. In diesen Monaten, hatte ich mehrheitlich im Bereich Kraft, koordinative Fähigkeiten und Technik gearbeitet und dies mit Alternativtraining und spärlichen Grundlagenläufen ergänzt. Also alles, was sonst später vernachlässigt wird, aber extrem wichtig ist. Ich war quasi mehr drinnen als draussen. Das Jahr zuvor, hatte ich bereits viele scharfe Fahrtspiele auf der Strasse mit dem TV Oerlikon in den Beinen, was mir eine höhere Schrittfrequenz gebracht hat. Dieses Jahr war es komplett anders, es waren vor allem Hügelläufe (Kurze Wiederholungen am Berg, mit lockerem Zurücktraben), welche einen kraftvollen Abdruck geschult haben, oder Läufe im Gelände wie der Crosslauf mit Martin. Beim Leimentalerlauf Ende Januar, machte sich das zum ersten Mal bemerkbar. Ohne die Intervalle war es für mich ungewohnt im anaeroben Bereich (der Bereich, wo du keine Luft mehr kriegst) zu Laufen, ich hatte regelrecht Schiss vor diesem Lauf. Jedoch war ich trotzdem schneller als letztes Jahr. Die steigende Anzahl Grundlagenläufe haben mich ausdauernder gemacht, wahrscheinlich wegen der Hügelläufe und Krafttrainings, insbesondere Sprünge, war beim Wettkampf meine Schrittlänge bei leicht gesunkener Frequenz um über fünf Zentimeter länger (mein fachmännisch getrimmtes Fazit nach entsprechender Auswertung mit Daten der Uhr). 

Im Januar folgten neben steigenden Umfängen auch schon die langen Läufe, welche immer länger wurden. Bereits hatte ich wieder Gefallen daran gefunden, auch wenn ich sie meistens alleine lief. Gerne tue ich das, weil ich so mein eigenes Tempo laufen kann, sowie ich auch den Marathon im eigenen Tempo laufen werde. Glücklicherweise waren die Bedingungen in diesem Winter mit wenigen Ausnahmen sehr gut. Kein Eis auf den Strassen, wenig bis kaum Schnee. Auf dem Laufband trifft man mich sowieso nie an. Auch von den üblichen Krankheiten wie Schnupfen oder gar einer Grippe blieb ich komplett verschont. Körperlich waren es in der Anfangsphase eher kleinere Dinge. Mal hat es in der Wade gezwackt, mal war es die Hüfte. Nichts Bleibendes, was ich mir aber trotzdem jeweils im Tagebuch notiert habe. Einzig wegen einer Verhärtung in der linken Wade, musste ich drei Tage Auszeit nehmen. Mindestens alle zwei Wochen bin ich deshalb zu Ruth in die Massage gegangen. Dank ihren Goldhänden wurde mancher Knoten gelöst, was mich vor allem gegen den Schluss über die Runden brachte. Andere Regenerationsmassnahmen waren warme Bäder, kneippen (mit einem p!) und gutes Essen. Meine Mittagsportionen waren jeweils doppelt so gross wie bei meinen armen Mitmenschen üblich, aber irgendwoher muss der Treibstoff kommen. Die neidischen Blicke der Kollegen zeugten Bände. Aber, ich habe ihnen jeweils versichert: Es ist ganz einfach, jeden Tag trainieren und du kannst so viel Essen wie du willst! Wichtig war mir, dass ich mich mindestens einmal pro Woche mit Rainer austauschen konnte. Es waren manchmal Fragen zu den Trainings, oftmals aber menschliche Dinge, wie die momentane Gefühlslage. Etwas was mir sehr wichtig war, sogar wichtiger als die Trainings selber. Schliesslich musste meine Motivation hoch bleiben und das blieb sie. Bald kamen auch die ersten Doppeltrainings. Für mich ungewohnt und ein Zwickpunkt während der Vorbereitung. Vor allem die zusätzlichen Technikeinheiten machten sich bemerkbar. Die qualitativen Einheiten waren noch locker, jedoch wurden die Tage dazwischen mit vielen Grundlagenläufe von 10-17 Kilometer aufgefüllt. Auch für mich eine neue Erfahrung, noch nie bin ich in einem Monat soviel gelaufen (es wurden über 450 Kilometer). Nach einer Erholungswoche im Februar ging es dann richtig los mit dem Marathontraining. Die ersten Intervalle standen an, auf sie hatte ich mich gefreut. Intervalle in der Grundmüdigkeit des Marathontrainings ist jedoch nicht dasselbe wie sonst, habe ich ernüchternd festgestellt. Da die Intervalle nicht das Hauptziel für den Marathon sind, musste ich sie glücklicherweise auch nicht so schnell laufen (dafür mehr davon). Oftmals habe ich die Zeitvorgaben trotzdem nicht ganz erreicht. Das hat mich unter diesen Umständen aber nicht verunsichert, schliesslich hatte ich im Gegenzug nun eine bärenstarke Ausdauer entwickelt und lief die Dauerläufe so zügig und trotzdem angenehm wie noch nie. Auch die langen Läufe konnte ich schon von Grund auf mit einer Pace im dreistelligen Minutenbereich bestreiten.

Bereits früh machte ich mir Gedanken, wie ich den Marathon gestalten wollte. Es galt den passenden Laufschuh dafür zu finden. Auch die Verpflegungstaktik schien mir matchentscheidend. Gerne wollte ich meine eigenen Getränke verwenden. Das war allerdings nur als Starter in der Elite möglich. Deshalb habe ich mich kurzerhand an die Veranstalter gewandt und grosszügigerweise eine Einladung erhalten. Vielen Dank nochmals dafür! Verwenden wollte ich dazu das kohlenhydratreichste (und trotzdem sehr magenverträgliche) Getränk der Welt. Maurteen320 mit 80 Gramm Kohlenhydrate pro halben Liter verpackt in ein aus Algen gewonnenes, pH-sensitives Hydrogel, welches erst im Dünndarm aufbricht und den Zucker dann langsam abgibt. Gels wäre eine weitere Variante gewesen, welche ich schon von meinem ersten Marathon kenne. Jedoch braucht es eine Zeit bis das Gel sprichwörtlich runtergewürgt ist, dann muss unbedingt mit Wasser nachgespült werden und nachdem der Blutzucker schlagartig steigt, fällt er auch sofort wieder in ein Loch. Beim fast schon obligatorischen Trainingslager vom BRC in Mallorca habe ich Maurten zum ersten Mal beim langen Lauf nach Muro getestet und konnte dabei bei zwei Getränkeposten von Luc insgesamt einen halben Liter zu mir nehmen und habe es trotz des hohen Lauftempos sehr gut vertragen. Übrigens hätte es drei Verpflegungsposten gegeben, der arme Luc musste wegen mir aber soviel voraushetzen, dass ich ihm kurzerhand erklärt habe, er brauche sich nicht mehr um mich zu kümmern. Lieber soll er zu den Leuten wie Astrid schauen, die an diesem Tage zum ersten Mal überhaupt 35 Kilometer weit gerannt sind (nicht, dass sie es ohne Luc nicht auch geschafft hätte). Bei den Laufschuhen dauerte es etwas länger. Nike, Saucony, Hoka… ich habe sie alle ausprobiert. Es waren gute Schuhe dabei, aber keiner hätte für den Marathon gepasst. Hängen geblieben bin ich dann beim Adidas Boston, ein sehr angenehm zu tragendes Modell mit etwas mehr Dämpfung, auf Kosten des Gewichts. Genau diese Dämpfung habe ich aber gebraucht, alle anderen Schuhe haben entweder nicht gepasst, oder waren für kürzere Distanzen prädestiniert gewesen. Den Marathon selber habe ich nie als Knackpunkt gesehen. Er sollte das i-Tüpfelchen werden auf einer Vorbereitung, die mir alles abverlangt hatte. Ich musste auf Vieles verzichten, auch privat. Unter der Woche gab es nach der Arbeit nichts Anderes, was nicht irgendwie für diesen einen Marathon am 22. April bestimmt gewesen wäre. Sogar am Wochenende waren die Trainings erste Priorität und ich musste Vieles hintenanstellen. Es gibt (vielleicht) Leute, welche das nicht verstehen können. Damit muss ich leben. Mein Arbeitgeber gewährt mir zum Glück viel Entscheidungsfreiheit und mehr oder weniger flexible Arbeitszeiten, sodass ich auch mal über einen verlängerten Mittag meine Laufschuhe schnüren kann. Idealerweise liegt der Campus auf dem Hönggerberg in der Natur, umgeben von zwei Waldstücken. Ab und zu mach ich auch mit einem Kollegen ab, oder gehe dort in den geleiteten Running-Treff solange das mit dem Trainingsplan auch übereinstimmte. 

Nach dem Trainingslager auf Mallorca folgte die intensivste Zeit. Direkt anschliessend sollte meine umfangreichste Woche mit über 150 Kilometern, auch das ein neuer Rekord, folgen. Es war eine Woche mit Temperaturen von bis zu minus Sieben Grad. Auch Schnee gab es. Trotz Handschuhen kam ich mehrmals mit tauben Händen zurück, konnte kaum die Türe öffnen und es tat heftig weh, bis sie wieder aufgetaut waren. Eine schnelle Einheit fiel wegen Eis ins Wasser, bei der Anderen spürte ich danach lange meine Lunge von der kalten Luft. Die folgende «Regenerationswoche» war nochmals über hundert Kilometer. Das reichte um einigermassen erholt zu sein, woraufhin die Schraube nochmals angezogen wurde. Diese Kombination mit drei qualitativen Einheiten pro Woche wurde auf die Dauer kritisch. Auf eine qualitative Einheit, die ich jeweils immer gut durchziehen konnte, folgten oft gleich sehr schwere Beine, wodurch es einzelne Trainings gab, die ich auslassen musste, oder aber, ich habe mich in den Dauerläufen aufgerieben. Wenn ich einzelne Trainings fallen liess, oder vereinfachte, kam ich danach zwar wieder stärker zurück, aber das gleiche Spiel begann wieder von vorne. Keine einfache Zeit, wenn du morgens aufstehst und die Beine immer noch weh tun. Vor dem Halbmarathon in Valencia, einem wichtigen Testlauf für die Form, war es dasselbe. Nur Dank einer drei lockeren Tagen bin ich da einigermassen erholt an den Start gegangen, nach Problemen im linken Oberschenkel. Die Zeit, war dann eine Bestätigung, dass es sich doch ausgezahlt hat. Anhand dieser Zeit dürfte ich mir sogar eine 2h27min ins Auge fassen, meinte Rainer. Nach einem Tag Pause ging es wieder langsam zurück ins Training, nochmals eine Woche mit 120 Kilometern, es wurde die letzte so umfangreiche Woche. Danach lief ich den längsten Tempolauf im Marathontempo von 18 Kilometern in einer Pace von 3:27 min/km, was eigentlich fünf Sekunden pro Kilometer zu schnell war, wo ich doch gezweifelt habe, dieses Training an jenem Tag überhaupt zu schaffen. Das hat mich ermutigt mir für den Marathon auch die Abschnittszeiten für eine Pace von 3:30 min/km zu notieren, was der Endzeit von 2h27min42sec entspricht. Eine Berg-und Talfahrt zum Schluss, wodurch das Tapering zuletzt sehnlichst erwünscht war.

Wie schon einmal angestossen, musste ich in der Vorbereitung auf Vieles verzichten. Auf Party und Alkohol zu verzichten, ist das Eine, es gibt aber Schlimmeres als Sportler. Dazu eine kurze Schilderung des Istrien Marathons, wo ich 14 Tage vor Zürich meinen Letzten und längsten langen Lauf absolvierte. Eine eigentliche Schnapsidee von mir, der Rainer aber freundlicherweise zustimmte (grüne Karte, zumindest für David). Spass muss sein und es war ein wundervoller Lauf in toller Umgebung bei strahlender Sonne. Ich wollte ihn unbedingt machen, auch als letztes intensives Training war er kompatibel. Zudem war es wieder einmal ein gemeinsamer Familienausflug. Rennend die Welt bereisen, diese Kombination gefällt mir sehr. Nach 27 kontrollierten Kilometern sollte ich den letzten Teil im geplanten Marathontempo von 3:32min/km laufen. Gar nicht so einfach bei 300 Höhenmetern, aber basierend auf dem Körpergefühl machbar. Dabei habe ich noch zwei Läufer überholt und stand nun sogar auf dem Podest. Der Führende war weit voraus, trotzdem war er mein Ansporn das Marathontempo durchzuziehen, wenn ich hie und da wieder in der Ferne die Sirene des Vorfahrmotorrads gehört habe. Plötzlich, bei der Kilometermarke 40 sehe ich auf einer längeren Gerade zum ersten Mal den Führenden etwa zweihundert Meter vor mir. Ich will ihn einholen, ich kann ihn einholen. Es geht alles leicht abwärts und ich laufe den nächsten Kilometer unter drei Minuten, er blickt mehrmals zurück. Angst spricht aus seinem Gesicht und verleiht mir zusätzlich Flügel. Die Menge am Strassenrand johlt. Dann, der Moment ist gekommen, kurz nach Kilometer 41 bin ich direkt hinter ihm. Eine schier unglaubliche Aufholjagd. Ich versetze mich schon in ein Sprintduell auf den letzten Metern. Die Luft ist fast draussen, denn jetzt beschleunigt auch er. Es geht ans Eingemachte, aber …ich lasse ihn ziehen. Es war nur diese zwei Gedankenfetzen, die aufblitzten und mich zusammenzucken liessen. Zürich Marathon. In zwei Wochen. Der schlimmste Verzicht, für einen Leistungssportler ist es, jemand Anderen im Wettkampf den Sieg zu überlassen. Kein Problem, wenn dir das der Körper sagt, aber wenn es der Kopf so will, bist du in deinem Stolz zutiefst verletzt. Die Vernunft hat schliesslich gesiegt, Sinn der Sache war nicht zu gewinnen, sondern ein gutes letztes Training abzuliefern. Immerhin habe ich es ihm nicht einfach gemacht und er hat sich diesen Sieg verdienen müssen. Die Körner muss ich mir für Zürich aufsparen.

Endlich standen die letzten zwei Wochen vor dem Marathon an. Jetzt galt es nur noch sich möglichst gut zu erholen, die letzte Superkompensation auszunützen. Der sogenannte Peak war erreicht, mehr würde auch nicht gehen, das spürte ich. Nach der letzten Massage bei Ruth am Freitag, nahm ich mir das ganze folgende Wochenende sportmässig frei und ich hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Der TRainer wusste zwar nichts, aber er hat mir nochmals geschrieben, dass ich auch mal ein Training abkürzen oder sausen lassen kann, weil es jetzt das Hauptziel ist, die Batterien zu laden. Die Vorfreude war gross, Aufregung hatte ich keine. Bei der Streckenbesichtigung in der Innenstadt am Sonntag, wollte ich direkt loslaufen. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so frisch gefühlt, die Pause tat mir gut. Jeden Tag habe ich in der letzten Woche die stündlichen Wetterprognosen für den Marathontag angeschaut. Sonne pur war vorausgesagt mit immer sommerlicher anmutenden, warmen Temperaturen. Eigentlich laufe ich lieber bei kalten Temperaturen. Bei über 20 Grad in der Sonne überhaupt nicht gerne. Je schneller du läufst, desto mehr Hitze produzierst du. Und bei warmen Temperaturen ist mit grossen Leistungseinbussen zu rechnen. Für mich war das in diesem Moment eine Horrorvorstellung. Als jedoch am Montag der Boston Marathon bei extremen Bedingungen mit flutartigem Regen bei Temperaturen knapp um den Gefrierpunkt, sowie heftigen Böen über die Bühne ging, habe ich meine Meinung dazu geändert. Für viele Leute ist es ein Traum, einmal im Leben den Boston Marathon zu Laufen. Auch für mich. Jason und Serena haben sich diesen Traum erfüllt und haben dafür einen Höllenritt durchgemacht. Mein Respekt. Ausserdem haben mit Desiree Linden und Yuki Kawauchi (Amateursportler, der Sponsoren ablehnt und 12 hochklassige Marathons im Jahr läuft) genau jene gewonnen, welche auf keinem Zettel standen, ausser bei ihnen selber. Viele sind ausgeschieden, haben sich überschätzt, oder taktisch falsche Entscheidungen getroffen. Sie aber nicht. An Ihnen sollte ich mir ein Beispiel nehmen. Der Tag vor dem Marathon lief ganz entspannt mit ein paar Hausarbeiten ab. Bald kam auch Ivo, der bei mir übernachtet hat. Mit ihm hatte ich nochmals eine gute Ablenkung. Zum Abendessen haben wir gemeinsam Pasta gekocht. Danach ging es ans Packen für morgen, auch die Getränkeflaschen mussten noch vorbereitet werden. Vor dem Schlafengehen, gab es kurz einen Blick auf die tolle Karte, die ihr mir geschickt habt und mir nochmals ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat.

Start zum Zürich Marathon Punkt 8:30 Uhr. (Foto: David Keller)
Start zum Zürich Marathon Punkt 8:30 Uhr. (Foto: David Keller)

Der grosse Tag des Rennens war gekommen. Um 4:45 morgens früh sind wir aufgestanden. Geschlafen habe ich nicht so gut. Das machte jedoch nichts aus, weil ich schon die ganze Woche guten, vielen Schlaf hatte. Dann gab es erstmal lecker Frühstück, ein grosses Glas Wasser, eine Kiwi, ewtas vom Aufbackzopf frisch aus dem Ofen mit Butter und Konfi, ein gekochtes Ei und zwei Gipfeli mit obligatorischem Kaffe. Um 6:15 machten wir uns mit dem Zug auf nach Zürich zur Garderobe der Elite (und auch Garderobe der lokalen Cervelat-Prominenz, wie sich später sehr zur Belustigung von Ivo herausstellte). Eigentlich wäre ich ursprünglich lieber in der normalen Garderobe gewesen, jedoch musste ich hier um 7 Uhr die Startnummer abholen und durfte meine Getränke abgeben. Im Nachhinein doch eine sehr gute Entscheidung. Es war alles sehr ruhig und entspannt, der Start war nur fünf Minuten entfernt. So hatte ich genügend Zeit für die letzten Vorbereitungen in der Garderobe, alles war sehr gut organisiert. Es wurde untereinander nochmals die Taktik diskutiert, wer läuft wie schnell an, eher offensiv oder defensiv? Auch das Wetter war Thema. Bevor ich zusammen mit Ivo zum Startbereich am Mythenquai direkt am See spazierte, motivierte ich mich mit etwas Musik. «Beat it» von Michael Jackson und «Kings never die» von Eminem zum Aufputschen, «Tage wie diese» von den Toten Hosen fürs gute Gefühl. Ein sehr kurzes Einlaufen um nochmals die Beine zu durchbluten, ein schnelles Foto vor dem Start und ich war bereit, gemeinsam mit 2000 anderen Läufern an diesem wunderschönen Frühlingsmorgen auf die Strecke geschickt zu werden. Selten war ich noch so entspannt bis kurz vor dem Start. Ich habe alles Nötige getan, war so gut vorbereitet wie noch nie, wieder einmal in der Form meines Lebens. Nun musste ich nur noch das Umsetzen, was ich schon wusste, dass es geht. 8:30 Uhr, der Countdown läuft….«Sechs», «Fünf», «Drei», «Vier» Ääh?, «Zwei», «Eins», «Go»! Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge, zählen muss auch gelernt sein. Das war aber schnell vergessen, denn es ging los auf die Strecke Richtung Quaibrücke. Alles flach, alles auf Asphalt. Vorbei an den grossen Zuschauermassen und kaum waren wir unterwegs, schrie auch unser Christian so laut er konnte und feuerte mich an. Sofort zog eine Gruppe Afrikaner an die Spitze, gemeinsam mit Julien Lyon, der am heutigen Tage die EM-Limite von 2h19min30 unterbieten wollte. Der erste Kilometer war leicht zu schnell, aber ich wusste, dass es so kommen würde. Danach hatte ich schon bald mein Tempo gefunden und wir liefen gemeinsam in einer Vierergruppe. Neben uns gesellten sich in der Anfangsphase auch die drei ersten Damen. An der intensiven Atmung der Frau neben mir, spürte ich, dass es nicht lange so bleiben würde. Tatsächlich wurden alle Drei später von der Siegerin Maude Mathys, einer Bergläuferin eingeholt. Auf der Quaibrücke, die wir viermal passieren sollten, habe ich dann noch unseren Präsidenten Thomas, sowie Kathrin gesehen. Viele Zuschauer waren da und haben uns lautstark zugejubelt. Ein richtiger kleiner Hexenkessel. Auch wenn ich jetzt nicht alle aufzählen will und auch gar nicht mehr zu einem bestimmten Zeitpunkt zuordnen kann je länger der Wettkampf wurde, es hat mich immer gefreut und für einen kurzen Moment die Belastung vergessen gemacht. Auf den ersten Kilometern kann man noch kaum von Belastung sprechen. Es rollte sich sehr einfach und leicht, genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Ohne gross Überlegen zu müssen, konnte ich mich an der Gruppe orientieren und genoss es sichtlich, die Stimmung und den angenehmen Frühlingsmorgen in der Stadt in mich aufzunehmen. Wahrscheinlich zu intensiv, denn es kam auch schon der erste Getränketisch mit meinem Getränk. Wir waren mitten auf der Strasse und ganz rechts am Strassenrand sah ich ihn im Blickwinkel vorbeihuschen. «Shit», ging es mir den Kopf.

 

Mit dieser Schweizer Vierergruppe (Josef; Bodenmann, Meyer) lief ich die ersten 10 Kilometer, die führende Frau konnte das Tempo  nicht mitgehen.
Mit dieser Schweizer Vierergruppe (Josef; Bodenmann, Meyer) lief ich die ersten 10 Kilometer, die führende Frau konnte das Tempo nicht mitgehen.

Es waren zwar erst drei Kilometer vorbei, trotzdem fühlte sich der Mund schon trocken an. Das mache ich das nächste Mal besser! Die Kilometerzwischenzeiten nutzte ich jeweils als grobe Abschätzung für mein aktuelles Tempo, während ich bei den Fünf-Kilometermarken jeweils genauer auf die Gesamtzeit schaute, um zu wissen, ob ich noch im Fahrplan bin. Die erste Marke passierten wir in knapp unter 17:30, was also perfekt war. Das einzige was ich vorher vergessen hatte, war die Zwischenzeiten auf dem Handrücken zu notieren. Auch deshalb war es gut, dass ich mir eine einfache Zahl als Marathonpace ausgesucht habe. Beim Zürich Marathon werden zwei Runden gelaufen. Eine kleine 10-Kilometerrunde durch die Stadt und dann eine grosse Runde am See entlang bis Meilen und wieder zurück. Diese erste Runde läuft sich tatsächlich sehr gut. Dazu überquerten wir nochmals die Quaibrücke und bogen auf die Bahnhofstrasse ein. Es folgten ein paar Kurven. Das fand ich nicht mal so schlecht. Es gibt nochmals Abwechslung, bevor es auf die teilweise langen Geraden am See zugeht. Beim zweiten Getränkeposten klappte es schliesslich. Diesmal gab es zweihundert Meter vorher eine Tafel und wir schwenkten alle genügend früh in Einerkolonne nach rechts und ich konnte mein Getränk fassen (insgesamt gab es 12 Posten, von denen ich nur den ersten und letzten ausgelassen habe). Meine Strategie war es, soviel wie möglich zu Trinken. Etwas des Schlimmsten was im Marathon passieren kann, ist zu dehydrieren. Ich werde viel Flüssigkeit und Mineralien über den Schweiss verlieren. Zusätzlich wollte ich meine Glykogenreserven für den Schluss aufsparen und dem Körper frühzeitig Energie zur Verfügung stellen. Es gab keine Rangordnung in der Gruppe, meistens lief ich aber ganz hinten, denn das Tempo stimmte für mich perfekt und ich wollte nicht forcieren. Nicht für alle war das so. Für einen Leidensgenossen war es genau ein Ticken zu schnell wie er später erzählt hat. Eine schwierige Sache so weit vorne, denn es gibt jeweils grosse Löcher und man muss sonst alles alleine Laufen. Gemeinsam bleibt man stark, denn für alle ging es in erster Linie um eine gute Zeit. 

Auch nach zehn Kilometern war es noch locker, die Atmung war sogar tiefer als sonst, jeweils nur alle zwei Schritte habe ich abwechselnd ein-und ausgeatmet, ein sehr gutes Zeichen. Ich erinnerte mich kurz, daran zurück, wie sich im Vergleich dazu die Tempoläufe angefühlt haben. Der Unterschied war enorm. Du bist stark und noch frisch habe mir gesagt, geniesse es und sei dann vorbereitet, wenn die Müdigkeit zuschlägt. Vorbereitet war ich dank Rainer, denn im Training musste ich schliesslich bei den langen Läufen jeweils gegen Ende mit müden Beinen nochmals Marathontempo laufen.  Es war bereits nach neun Uhr und es wurde langsam aber stetig wärmer. Wir liefen nun auf der Seestrasse Richtung Meilen. Ein sehr ruhiger Abschnitt mit kaum Zuschauern. Jetzt galt es sich zu fokussieren. Glücklicherweise war das Gefühl fürs das Tempo wie perfekt internalisiert und unsere Gruppe harmonisierte noch immer gut. Wir holten sogar zwei Läufer ein, die langsamer wurden. Den einen kannte ich, es war Armin, mit ihm habe ich auch schon trainiert, letztes Jahr ist er hier mit 2:24 eine neue Bestzeit gelaufen. Schade, dachte ich und versuchte ihn noch aufzumuntern und lief eine Zeit neben ihm, in der Hoffnung, dass er sich uns anschliessen kann. Aber, ihm lief es heute einfach nicht, es gibt solche Tage. Der Schatten war sehr spärlich und die Sonne schien seitlich, leicht frontal auf uns. Es gab nun einen Gegenwind von den Bergen her. Super dachte ich, lief nun ganz vorne, denn er brachte auch Kühlung direkt vom See. Istrien, genauso war es doch auch. Wir sind schon bald bei der Halbmarathonmarke angelangt und Andreas Meyer hat sich von unserer Gruppe leicht abgesetzt, eines der vielen Begleitvelos fährt vor ihm. Ich forciere nun das Tempo, denn wir wurden etwas langsamer.  Es war immer noch flach, vielleicht minim wellig, denn Selina hatte mich vorgewarnt. Es gäbe zwischen Zürich und Meilen nochmals eine leichte Steigung, bevor es das einzige Mal kurz richtig hochgeht bei der Spitzkehre (Maren würde mich an dieser Stelle auslachen). Das kam mir aber nicht so vor, eher kam es mir so vor als würde ich die ganze Zeit ununterbrochen leicht abwärts rennen. Das ist kein Gefühl, das ist tust du auch wirklich habe ich mir eingehämmert! Um dann gleich zu realisieren, dass ich im Umkehrschluss auf dem Rückweg alles gefühlt hochlaufe? Nein, auch da wird’s jeweils immer leicht abwärts gehe! Ein Meisterstück wie ich es irgendwie geschafft habe mein Hirn zu überlisten.

Als wir kurz vor Winkel eine Wechselzone der Staffelläufer erreicht haben, konnte ich dann wieder zum Vordermann aufschliessen. Unsere Gruppe wurde auseinandergesprengt, jetzt fängt Marathon an. Die Halbmarathonmarke war passiert. Bei der nächsten Getränkestation schnappte ich mir sofort zwei Wasserbecher und formte mit den Händen zwei Schnabelöffnungen. Alles wird hinuntergeleert. Auf die Dauer wäre mein Zaubertrank alleine zu süss und deshalb hatte ich auch geplant jede dritte Station Wasser zu mir zu nehmen. Je länger der Marathon wurde, desto mehr habe ich aber dann beides gleichzeitig nacheinander zu mir genommen oder nur noch Wasser. Ein Fehler? Andreas reichte mir auch noch seine riesige Wasserflasche, dankend nahm ich an und gab ihm zu verstehen, dass wir sehr gut drinnliegen. Tatsächlich lief ich hier im Mittelteil sehr konstante Kilometer mit Andreas immer direkt hinter mir im Schlepptau und dem Begleitfahrer vor uns. Überhaupt war ich Gotten froh um diesen Begleitfahrer. Er war ein wichtiger Ankerpunkt und hat mich an Ivo erinnert, wie wir mich beim langen Lauf begleitet hat. Es war das stetige Rauschen der Räder im Hintergrund, welches mich damals die ganze Zeit von schlechten Gedanken abgelenkt hat. Es hat mich dazu gebracht hat, den Moment zu verinnerlichen und nicht daran zu Denken wie lange es noch dauert. Das kann dich zerstören. Etwas mehr als einen Kilometer vor der Kehre kam uns die Spitze entgegen. Es waren zwei oder drei Afrikaner, so genau weiss ich es auch nicht mehr. Dann kam nochmals ein Afrikaner. Und Julien Lyon? Er musste leider aussteigen. Ich sah ihm auf dem Rückweg am Strassenrand gehen. Auch ein weiterer Läufer da vorne hat aufgegeben und sich mitten auf die Strasse gestellt um uns zu unterstützen. Eric Rüttimann (auch er lief uns später entgegen) war nun noch der einzige Schweizer, der vor uns lag. Wahnsinn! Bei Kilometer 25, dann endlich, die erwünschte Spitzkehre. Über die Hälfte war schon geschafft und nun ging es alles zurück nach Zürich. Hier startete mein schnellster Abschnitt. Ich konnte plötzlich tiefe 3:20er Zeiten hinlegen. Grund war wohl auch, dass wir nun den anderen Marathon- und Staffelläufern entgegenliefen und mein Mantra mit der abwärtsgehenden Strecke schien aufzugehen. So sah ich auch Dani. Viele fremde Leute riefen mir zu. Das motivierte zusätzlich und wenn ich jetzt mal überlege, dann hatte ich genau im Training dieselben Bedingungen. Es war in Istrien, wo ich anderen Läufern entgegenlief. Es war bei mehreren meiner langen Läufe, wo ich jeweils nach der Hälfte eine Spitzkehre machte und es auf dem Rückweg leicht, aber stetig talaufwärts ging (also anstrengender, während der Zürich Marathon flach ist). Es war auch bei diesen langen Läufen, wo ich jeweils ungefähr ab dieser Marke nochmals zulegen musste. Der Körper kannte das also. Entsprechend lief es auch. Einzige Konsequenz war, dass meine Atmung nun ziemlich am Anschlag war. Kilometer Dreissig kam. Ich wurde nun doch wieder etwas langsamer und lief meine ursprüngliche Pace. Ich hatte so viel getrunken und bekam trotzdem Durst, innerlich hangelte ich mich jetzt nur noch von Getränkeposten zu Getränkeposten. Die Sonne prallte nun von hinten rechts auf mich ein. Ich lief die Idealline in der Mitte, der wenige Schatten von den maximal dreistöckigen Gebäuden am Strassenrand war es nicht wert. Aber der Tank war noch nicht ganz leer. Es ging immer noch, wann wird es denn richtig hart? Muss ich denn nicht leiden? Eine 2h26min schien sogar immer noch möglich. Einen Moment lang fröstelte es mich und ich hatte tatsächlich Gänsehaut auf dem Rücken. Ich konnte es nicht glauben, das ist dein Tag, ein Traum der schon bald in Erfüllung geht. 

Die letzten Kilomter wurden zur Herausforderung.
Die letzten Kilomter wurden zur Herausforderung.

Das mit dem nicht leiden müssen, hätte ich so nicht denken sollen, den kaum war Kilometer 34 vorbei, fing es schlagartig an. Die zweite Stunde hatte geschlagen. Die Beine wurden schwer wie Blei, die Kraft verliess mich. Ich musste jetzt beissen, damit ich nicht langsamer wurde. Der Durst war erfolgreich gelöscht, aber der Magen machte sich ob der vielen Flüssigkeit bemerkbar. Ein ungutes Gefühl. Die Kilometerzeiten auf der Uhr waren der einzige Lichtblick: Immer noch im Bereich 3:30-3:40. Du darfst auch etwas langsamer werden, musste ich mir eingestehen. Das grosse Rechnen fing an. Wenn ich nicht komplett einbreche, liegen immer noch 2h27min oder 2h28min drinnen, das wusste ich! Das letzte Mal musste ich über die Quaibrücke. Der Gestank von grilliertem Fleisch aus den Imbissbuden legte sich mir in die Nase. Die frenetischen Zuschauer waren wieder da, mein bisher treuer Vorfahrer geleitete mich nochmals in die Bahnhofstrasse. Der Kontrast konnte nicht grösser sein. So leer war die Bahnhofstrasse noch nie. Die Geschäfte haben zu, wie ausgestorben. Sie wurde lange, sehr lange. So hatte ich sie beim ersten Mal nicht in Erinnerung. Kilometer vierzig, es wird noch schlimmer. Kein Durst mehr, dafür viel zu viel Flüssigkeit im Magen und den Gedärmen. Zusätzlich zu den Bleiklötzen an meinen Beinen gesellt sich das Gefühl, jeden Moment aufs Klo zu müssen. Durchfallgefahr! Ich musste die Arschbacken zusammenpressen und das Herz in die Hand nehmen. Den letzten Getränkeposten liess in diesem Falle gerne aus. Nochmals versuche ich die Schrittfrequenz zu erhöhen, oder die Arme zu benutzen, aber es geht nichts mehr. Das einzig Positive, ich laufe erstmals die ganze Zeit im Schatten. Auf die Uhr blicke ich zum Schluss hin gar nicht mehr (Kilometer 41 sollte in 3:43 mein langsamster Kilometer werden). Dann, der letzte Kilometer. Irgendwie geht der immer. Ich laufe die letzte Gerade Richtung Ziel. Alle warten sie dort auf mich. Von Weitem sehe ich den grünen Teppich. Erst wenn ich den überquert hab, ist fertig! Der Magen zieht sich nochmals zusammen, aber ich bleibe tapfer. Ich sehe sie, die 2h27min auf der Ziel-Uhr. Langsam laufen die Sekunden, es sind noch deren zwanzig. Dranbleiben, dranbleiben, dann reicht es noch gut! Und tatsächlich, knapp schaffe ich es unter 2h28min ins Ziel und bin für einen kurzen Augenblick der glücklichste Mensch der Erde. Sofort muss ich mich hinlegen. Ich warte, Andreas kommt zwei Minuten später ins Ziel und wir umarmen uns. Es ist geschafft. Der Magen unter Kontrolle, auf die Toilette muss ich danach aber doch noch. 

Gänsehaut beim überqueren der Ziellinie.
Gänsehaut beim überqueren der Ziellinie.

Ein Traum ging in Erfüllung, ja, ein Träumer war ich schon immer. Gerne möchte ich mich nochmals bei allen bedanken, die mich bei der Vorbereitung auf diesen Marathon begleitet und mitgefiebert haben. Ob ich jetzt im Herbst gleich nochmals einen Marathon laufe? Eher nicht. Ich freue mich wieder auf bedeutend kürzere Strecken, denn für einen Marathon muss ich auch den Kopf dafür haben. Aber nächstes Jahr, dann wahrscheinlich gerne wieder! Wie meinte eine Arbeitskollegin von mir so schön: «Laufen ist nicht dein Hobby, es ist deine Lebenseinstellung.»

Write a comment

Comments: 0