Je höher du fliegst, desto tiefer fällst du...
Was ich da beim Zürich Marathon geleistet habe, habe ich erst später realisiert. Auf die Woche danach hatte ich mich sehr gefreut. Die Treppen habe ich Anfangs noch gemieden, jedoch ging es von Tag zu Tag besser und bald waren die allgemeinen Muskelschmerzen, der grosse Kater danach, vorbei. Das Nichtstun habe ich sehr genossen. Die Pläne für die Zukunft liess ich bewusst noch offen. Klar war nur, dass ich im Mai bei der Sola-Stafette starten werde und gerne den Sieg beim Homberglauf verteidigen möchte. Dumm nur, dass ich ab dem dritten, vierten Tag nach dem Marathon wieder Schmerzen im rechten Oberschenkel hatte. Diesmal sogar im Alltag, erst in der zweiten Woche wurde es besser. Beunruhigt, hat mich das aber nicht.
Nach neuen Tagen und ausser einmal Schwimmen und Radfahren nichts, war ich wieder einmal im Training des TV Oerlikon und habe bei einem gemütlichen Dauerlauf mitgemacht. Hier war ich das erste Mal beunruhigt, denn ich spürte den rechten Oberschenkel bei jedem Schritt. Kein scharfer Schmerz, aber trotzdem nicht gut. Am Samstag war die Sola, geht das weg bis dahin? Zwei Wochen nach dem Marathon wieder Wettkampf ist natürlich suboptimal. Für mich hätte ich das auch gar nie gemacht, jedoch fühlte ich mich verpflichtet und eine den Umständen entsprechende, solide Leistung sollte reichen. Noch einmal teste ich den Oberschenkel am Freitag davor, es fast weg das komische Gefühl. Dennoch, ich traute der Sache nicht ganz.

Die Sola selber war natürlich eine tolle Sache. Wir stellten mit dem TV Oerlikon 1 und dem TV Örlike, zwei ausgeglichene Teams, die um den Gesamtsieg mitkämpften, sowie drei weitere Teams. Wie gehabt sind eigentlich alle Strecken an der Sola kurz undauf hügeligem Terrain. Eine perfekte Abwechslung. Meine Strecke war die Nummer 9 von Fluntern nach Forch. Ich übernahm an dritter Stelle und konnte die Platzierung halten. Auch auf der Etappenrangliste war auch auf Platz drei klassiert, hinter Christian Kreihenbühl und Florian Suter. Zwar hatte ich beim Einlaufen immer noch ein komisches Gefühl merkte aber während dem Rennen nichts. Es war wiederum ein warmer Tag was dann diesmal der tollen Schlussfeier im Ziel am Irchel zugutekam. Unsere Teams klassierten sich als 1., 3. und 12. Wir konnten also wiederum einige Rössli mit nach Hause nehmen.
In der Woche danach kam die Ernüchterung. Nach genügend Pause wollte ich Mitte Woche wieder eingestiegen. Beim Fahrtspiel am Freitag, fünf Tage vor dem Homberglauf, wollte ich erstmals wieder ein etwas schneller Training absolvieren. Beim Beschleunigen und während den ruhigen Phasen bemerkte ich aber abermals Schmerzen und zog dann einen Schlussstrich. Unter diesen Umständen war es kontraproduktiv weder an Training, noch an den Start zum Homberglauf zu denken. Schweren Herzens entschloss ich mich also zu einer längeren Pause um sich dem Problem entgültig zu entledigen. Es waren so um die zwei Wochen angedacht, wollte ich doch dann Mitte Sommer versuchen nochmals die Limite für die 5000m-SM zu knacken.

So etwas schwerwiegendes kannte ich bisher noch nicht. Was es genau war wusste ich nicht, ich wusste aber genau, dass es mit dem letzten Monat des Marathontrainings zusammenhängt. Ein Bahn- und Talfahrt wo ich an meine Grenzen gekommen bin. Es gab nochmals einen kurzen Testlauf, bevor ich mich diese Woche schliesslich untersuchen liess. Das gute: Die Schmerzen sind weg, selbst beim Laufen. Bei Sprüngen auf einem Bein war es noch spürbar, diese Woche dann nicht mehr. Es ist also alles weg, wenn dann sind es höchstens noch Phantomschmerzen im Kopf. Trotzdem wollte ich mich untersuchen lassen, um sicher zu sein, dass alles in Ordnung ist und ich wieder voll belastbar bin. Muskulär war ich top erholt, das einzige was ich mir noch vorstellen konnte, war etwas am Knochen, ein Ermüdungsbruch etwa. Die Untersuchung verlief gut. Keine Schmerzen oder Auffälligkeiten bei den verschiedenen Tests, auch der Ultraschall zeigt, das alles in Ordnung war. Normalerweise würde selbst der Sportarzt jemanden "Normalen" wieder nachhause schicken. Mit meinem Hintergrund, wurde allerdings doch noch ein kostspieligeres MRI gemacht. Welches sensitiver ist als Ultraschall. Und tatsächlich, nach der Zugabe von Kontrastmittel wurde eine unspezifische Stressreaktion, zentral, etwas links am rechten Oberschenkelknochen sichtbar. Genau da wo ich vorher die Schmerzen verspürte. Eine Stressreaktion ist die mildeste Form einer einer Schädigung, es ist die Vorstufe eines klar sichtbaren Risses, welches wiederum die Vorstufe eines Bruches ist*. Bei jeder Belastung bilden sich Mikrorisse im Knochen, welche aber wieder heilen. Es ist ein Gleichgewicht, welches sich bei Es gibt eine grosse mögliche Palette an Ursachen, einerseits, kann der Heilungsprozess verschlechtert sein, etwa bei einer Unterernährung, einer plötzliche Steigerung des Trainingsumfangs (Frequenz). Andererseits kann die Belastung durch Stösse grösser sein, etwa beim Wechsel vom Laufuntergrund (weich, hart), andere Schuhe, einer höheren Intensität, oder bei zu starker Ermüdung der Muskeln, welche eine wichtige Stütz- und Pufferfunktion innehalten. Die zu starke Ermüdung der Muskeln in Kombination mit der Intensität gegen Ende des Marathontrainings war wohl bei mir der Auslöser. Ich kann mich noch ganz gut an zwei Dauerläufe erinnern, bei dem jeder Schritt schmerzte, weil die Muskulatur einfach kaputt war. Das tue ich mir nie mehr an, habe ich mir gesagt, jetzt war es aber wohl zu spät und trotzdem hatte ich Glück im Unglück.
*Siehe: Management and Prevention of Bone Stress Injuries in Long-Distance Runners, Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy, Volume 44, Number 10, October 2014
Mit der Diagnose wusste ich einerseits, was ich hatte, andererseits war ich natürlich sehr frustriert. Bei der Besprechung am nächsten Tag war klar, ich muss vier Wochen komplett aufs Laufen verzichten. Es gibt jetzt Physiotherapie und ich darf Alternativsport treiben. Das einzige Laufen wird ab und zu auf dem AlterG sein, einem Laufband bei dem das Körpergewicht um die Hälfte reduziert ist (kannte ich vorher auch nicht). Anstatt den Kopf hängen zu lassen oder übereifrig wieder auf das vorherige Niveau hinzuarbeiten, nehme ich jetzt einfach Tag für Tag und schaue gebannt auf den Wiedereinstieg im Juli. Wenn alles glatt läuft, kann ich mich im August und September wieder für Wettkämpfe vorbereiten. Das reicht für den Oktober. Bis dahin ist der Weg noch lange und was genau ich dann mache, bleibt noch völlig offen.
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