Comeback

Mehr als eine simple Verletzung

Prolog

Das eigentliche Ziel in diesem Jahr wäre gewesen, diesen Frühling in Zürich eine neue Bestleistung über die Marathondistanz zu erreichen und sich dann für die Leichtathletik SM über 5000m in Basel Ende August zu qualifizieren. Jedoch wurden mir mehrere kleine Dinge zum Verhängnis, ein Velounfall, ein paar Dysbalancen, eine anfänglich harmlos erscheinende Verletzung, eine Falschdiagnose. All dies führte dazu, dass sich dieses Jahr nichts so darstellt wie ich es sich anfänglich abgezeichnet hat. Es gab mehrere Rückfälle in der Behandlung der hartnäckigen, aber glücklicherweise nicht persistenten Knieverletzung die ich mir zugezogen habe. Das liess mich in ein tiefes Loch fallen, welches ich zuerst hinter mir lassen musste, bis auch die körperlichen Beschwerden sich langsam aber stetig abschwächten.

Ein Trainingslager das Keines war

Die Situation im März präsentierte sich eigentlich hervorragend. Das Training lief gut, noch nie war ich so fit und gleichzeitig von der Belastung her noch lange nicht am Limit. Mit Luki, hatte ich jemanden, mit dem ich in regem Austausch stand bezüglich des Trainings. Für die Massage konnte ich wiederum wöchentlich zu Ruth gehen und der Erholung half auch, dass ich für die nächsten zwei Monate anstatt Ferien pro Tag eine Stunde weniger arbeitete. Den scheinbar harmlosen Velounfall vom Februar schien ich gut überwunden zu haben und freute mich schon auf die "heisse Phase" mit dem einwöchigen Trainingslager in Mallorca. Trotzdem ging es sehr schnell, innerhalb von einer Woche führte ein zuerst harmloses Knacken im Knie dazu, dass ich kurz vor dem Lager pausiern musste. Direkt nach dem Unfall und dem Sturz aufs Knie gab es da zwar ein paar Schürfungen, aber kein Bluterguss oder Schwellung und die muskuläre Verkrampfung in der Kniekehle löste sich nach ein paar Tagen. Jetzt war es aber plötzlich das vordere Knie, über der Kniescheibe, das Schmerzen verursachte. In der Erholungswoche waren es zuerst nur Knacksgeräusche während dem Beugen, die ich vermehrt wahrnahm, mir aber nichts dabei dachte. In der darauffolgenden Woche hatte ich während zwei  Dauerläufen jeweils einmal einen kurzen, stechenden Schmerz. Beim darauffolgenden Intervall war überhaupt nichts, weshalb ich zuerst wieder beruhigt war. Das schlimmste Erlebnis war dann am Samstag derselben Woche, wiederum ein Dauerlauf, diesmal ziemlich hügelig, und beim abwärtslaufen wiederum ein stechender Schmerz, der nicht mehr wegging.

Das letzte intensive Training war dann in Rheinfelden beim Halbmarathon, eine Woche vor dem Trainingslager. Hier hatte ich zwar keine Probleme (alles flach), aber danach wusste ich, dass es etwas Schlimmeres war, denn auch bei Alltagsbewegungen hatte ich plötzlich Schmerzen oder ein Ziehen. Zum Beispiel, wenn ich länger mit angewinkelten Knien sitzen blieb. Das Trainingslager stand also unter keinem guten Stern. Nach ein paar Tagen Laufpause ging es allerdings wieder besser und ich wollte es nochmals versuchen. Zugleich wusste ich, dass das die letzte Chance ist und ich ansonsten die ganze Vorbereitung abbrechen musste. Leider hat es im Trainingslager nicht mehr geklappt, was unter den Umständen ein harter Brocken war. Anstatt mit den anderen zu trainieren half ich zuerst als Verpflegungsstelle und Personentransport aus, danach brauchte ich aber Zeit für mich alleine, um das Ganze zu verarbeiten. All den glücklichen Menschen beim trainieren zuzuschauen wäre in diesem Augenblick unmöglich gewesen. Auch einfach nur Ferien zu machen wäre unmöglich gewesen, kam ich doch nur mit der Intention hierher um zu trainieren, essen und zu schlafen. Mit einem grossen Ziel vor Augen.

Die Komplexität des Kniegelenks

Der erste wichtigste Termin nach dem Trainingslager war ein paar Tage später beim Sportarzt. Während rund einer Woche hatte ich überhaupt nichts gemacht. Ich konnte nicht länger als normal sitzen, weil das Knie beim Beugen weh tat. Auch sonst war es unangenehm, wenn man wegen Ruheschmerzen nachts plötzlich aufwacht. Treppen habe ich möglichst vermieden. Das einzige was etwas half, waren warme Bäder. Natürlich war das ein Schock so plötzlich von 100 auf 0. Jedoch konnte ich es so akzeptieren und habe den Marathon abgehackt. Lieber wollte ich wieder komplett gesund sein um dann ein neues Ziel ins Auge zu fassen. Die Diagnose bei der Ärztin in der medbase stand schnell: Patellaspitzensyndrom. Nach der Palpation sagte sie mir, dass sowohl alle Bänder als auch Menisken in Ordnung seien. Einen Zusammenhang mit dem Unfall schloss sie aus, weil die vorderen Knieschmerzen erst später auftraten. Ich war erstaunt, dass es kein MRT, oder ein anderes bildgebendes Verfahren gab. Eigentlich hätte ich darauf bestehn sollen, denn wie sich erst viel später heraustellte, war die Diagnose falsch.

 

Als Wichtigstes neben der Physiotherapie, die bald startete ist das Dehnen des vorderen Oberschenkels. Das beherzigte ich sogleich, allerdings war das wohl zuviel, denn ich war nochmals circa eine Woche "platt". Danach versuchte ich es langsam wieder und tatsächlich half es. Im April begann ich einmal wöchentlich mit der Physiotherapie bei Hans und Jana. Anfangs machte ich schnell Fortschritte durch das Kräftigungs- und Dehnprogramm. Ich konnte sogar wieder lockeres Alternativtraining machen wie Schwimmen oder etwas Radfahren. Die Entzündung schien sich langsam gelegt zu haben. Obwohl die Physiotherapeuten meinten, ich könne wieder langsam mit Laufen beginnen, war ich noch nicht bereit dazu (normalerweise ist es doch genau andersrum, der Athlet möchte laufen, darf aber noch nicht). Noch hatte immer hatte ich Beschwerden im Alltag, weshalb ich unbedingt noch warten wollte. Für die bevorstehenden Reisen zum RotterdamMarathon mit dem TV Oerlikon und dem Leipzig Marathon mit dem BRC war ich als Helfer für Sämi und Evelyne im Einsatz. In Rotterdam sogar auf dem Rad von Verpflegungsposten zu Verpflegungsposten was ziemlich gut geklappt hat. Für beide lief es gut mit einer neuen Bestmarke und so hatte ich immerhin das erfüllende Gefühl meinen kleinen Beitrag dazu beigetragen zu haben.

 

Das Physiotherapieprogramm behielt ich nur zwei Wochen durch, danach lag ich wieder "flach". Wiederum war ich im Alltag extremst eingeschränkt, ich musste alle Treppen oder Beugungen vermeiden. Was hatte ich faslch gemacht? So langsam war ich frustriert und die teilweise chronischen Schmerzen nagten an meiner Motivation. Nochmals wollte ich es versuchen und nach einer Woche mit warmen Bädern und dank der Massage von Hans versuchte ich es nochmals sehr vorsichtig mit der Physiotherapie, aber ohne Alternativsport. Viele Übungen konnte ich problemlos ausführen, die Schmerzen kamen dann aber oftmals erst einen Tag später, oft nicht zuordbar. Trotzdem, Ende Mai wurde es wieder schlimmer...

 

Das war extrem frustrierend, weil ich keine Perspektive mehr hatte, wie ich da je wieder hinauskommen sollte. Ich überlegte mir schon, wie es wäre überhaupt nie mehr Leistungssport betreiben zu können, nie mehr laufen,  geschweige denn mein ganzes Leben eingeschränkt zu sein. Es war nicht vergleichbar mit bisherigen Verletzungen bezüglich der Gewissheit, Dauer und psychsich/körperlichen Belastung. Folgende Punkte habe ich mir notiert:

  • Stufenweise Verschlechterung und chronische Schmerzen anstatt einer Verbesserung
  • Ungewissheit, habe ich die richtige Diagnose, wie soll es weitergehen?
  • Überbordwerfen der Ziele, Motivations- und Antrieblosigkeit
  • Von 100% auf 0%, gar keine Bewegung, nicht mal spazieren und auch im Alltag Schwierigkeiten
  • Nichts Vergleichbares bisher erlebt

Wiederum also der Besuch bei der  Sportärztin, welche nun endlich ein MRT anordnete. Denn die das Berühren der Patellasehne selbst schmerzte nicht, weshalb der Verdacht einer Knochenprellung der Kniescheibe im Raum lag.

Die Auferstehung

So richtig bergauf, ohne Rückschritte, ging es erst Anfang Juni. Da die Ärztin die Klinik wechselte, kam ich zu Dr. Narozny. Nach einer zusätzlichen Abklärung bei Rubén und Dr. Krüger war klar, dass an und für sich nichts "kaputt" ist. Es würde aber sicher noch zwei Monate dauern,  bis ich wieder ans Laufen denken kann, wobei ich zu dem Zeitpunkt weder daran dachte, noch hätte es mich überrascht. Das MRT schaffte endlich Klarheit und die Überraschung war gross, als sich herausstellte, dass es gar kein Patellaspitzensyndrom war, eine Fehldiagnose also! Der Befund, welcher als vorderer Knieschmerz zusammengefasst werden kann war folgender:  leichtes Ödem in der Kniescheibe (also nicht so schlimm wie ursprünglich befürchetet), sowie eine Dehnung des vorderen Kreuzbandes und ein leichter Gelenkserguss, beides womöglich vom Unfall, dazu eine Entzündung der Quadrizepssehne (anstatt der Patellasehne, welche vollkommen i.O. war)

 

Voraussichtlich war das ganze eine Kombination aus den Folgen des Sturzes und der Beanspruchung durch das Training, so genau kann man das im Nachhinein nicht sagen. Es war wichtig, endlich Klarheit zu haben und die richtige Therapie zu erhalten. Dr. Narozny verordnete mir isometrisches Training. Grundsätzlich ging es auch darum aus der depressiven Stimmung herauszukommen, denn das Nichtstun bzw. schonen half nur bedingt und ewig so weitergehen konnte es nicht. Mit der richtigen Therapie und genügend Geduld sollte ich die Schmerzen endlich loszuwerden um im Lebensalltag wieder die verlorene Qualität zurückzubekommen. Was mir in dieser Zeit am meisten half, waren folgende drei Überlegungen, welche mir während einem Waldspaziergang ins Gedächtnis sprangen:

  1. Alle diese Erfahrungen und Begegnungen hätte ich ohne die Verletzung so nicht gemacht. Die Dinge verlaufen selten immer bilderbuchmässig, aus den Höhen und Tiefen entstehen Erinnerungen, die es sonst nicht geben würde. So denke ich gerne daran zurück, wie ich in Rotterdam durch die Strassen gecruist bin um Sämi die Flaschen zu reichen, oder wie viel Spass es später gemacht hat dank Dr. Krüger und Ivan mit dem Robotec vom einem Startup zu trainieren. Wie schön die Wanderungen im Engadin waren undsofort...
  2. Deshalb, sollte ich nicht mehr dran denken was gewesen wäre, wenn ich diese Verletzung nicht gehabt hätte. Anstatt in der Blase zu leben, habe ich jetzt keine Gedanken mehr daran verschwendet,  sondern die Realität so genommen wie sie ist. Mein neues Motto war jeden Tag so nehmen wie er ist. Was schlussendlich dazu geführt hat, das ich die Situation vollkommen akzeptieren konnte. 
  3. Es könnte alles sehr viel schlimmer sein. Das wurde mir vor allem klar, nachdem ich eine Doku über Kristina Vogel gesehen habe. Sie war eine deutsche Olmypiagold-Gewinnerin im Bahnradsport, bis sie seit einem tragischen Unfall auf der Bahn querschnittgelähmt ist. Trotz der Schwere und der Irreversibilität ihrer Verletzungen ist sie positiv geblieben, auch wenn sie jetzt ein komplett anderes Leben hat. Im Gegensatz dazu, war meine Verletzung banal und die Aussichten gut.

Schon bald startete ich wieder mit Dehnen und ein neues Physioprogramm mit isometrischem Krafttraining bei der medbase. Der Test ergab, dass die Harmstringmuskulatur im Vergleich vorderen Oberschenkelmuskulatur zu schwach war und bei schnellen Kontraktionen zu wenig Maximalkraft vorhanden war. Gleichzeitig begann ich im Juli bei DD Robotec mit dem einmal wöchentlichen Trainingsprogramm,

  • Ende Juni konnte ich erstmals wieder mit angewinkeltem Knie (90°) sitzen ohne Schmerzen.
  • Anfang Juli konnte ich wieder kurze, flache Strecken Velo fahren, auch längere Spaziergänge waren problemlos möglich.
  • Anfang Juli hatte ich das letzte Mal Ruheschmerzen, welche mir jeweils die Lust auf Bewegung genommen hat.
  • Weiterhin konnte es sein, dass es ein Ziehen oder ein Taubheitsgefühl gab bei repetitiven Beugebewegungen (z.B. Velofahren) oder bei einer tiefen Kniebeuge. Was aber weitaus erträglicher was als die unvorhersehbaren  Ruheschmerzen.

Ein Trainingslager das Eines war

Mit dem Wissen, dass es  körperlich langsam bergauf ging, war die Vorfreude für die Sommerferien im Engadin sehr gross! Insgesamt drei Wochen war ich dort. Es tut immer wieder gut, die frische Bergluft, die Natur. Zuerst war ich alleine in Bever, in einem alten Engandinerhaus, bis der Besuch am Wochenende kam. Danach war ich in St.Moritz mit den Oerlikern im Trainingslager. Jeden Tag war ich draussen und habe vor allem viele Wanderungen und Bikeausfahrten unternommen, aber auch Klettern, Schwimmen und natürlich viel Kraftübungen. Auch gelesen habe ich viel. Die Ferien waren sehr erholsam und ich konnte den Schwung mitnehmen.

Die Situation heute

Woche für Woche mache ich Fortschritte. Aus fünf Kilometern Anfang August wurden sieben, aus sieben deren zehn usw. Mittlerweile kann ich so ziemlich alles beschwerdefrei machen, es kann sein, dass es beim tiefen Beugen knackst oder ich noch "spüre", dass da was ist, aber Schmerzen sind es keine mehr und jede Woche wird es besser. Immer noch mache ich viel Krafttraining und tue viel für die Mobilisation, das heisst vor allem Dehnen und zwar täglich. Anstatt des Alternativtrainings kann ich nun bis Ende Oktober Schritt für Schritt das Lauftraining erhöhen. Ich freue ich mich wieder auf etwas Geschwindigkeit. Einen möglichen ersten Wettkampf dieses Jahr im Dezember habe ich schon ins Auge gefasst, aber definitiv ist noch nichts. Noch möchte ich abwarten und mich nicht unter Druck setzen.

Dafür habe ich mir im Sommer schon überlegt, welche Herausforderung ich im nächsten Jahr anpacken möchte. Es wird nichts komplett Neues sein, aber nochmals einen Frühlingsmarathon wird es nicht sein. Ein paar Änderungen sind vorprogrammiert. Lasst euch überraschen!